Eine Kolumne von Ulrich Faure
Lesen unter der Fuchtel von Corona 24
Liebe Leser, heute heißt es Abschied nehmen: Der Buchhandel darf wieder öffnen, jetzt muss ich Sie nicht mehr schriftlich breitschlagen, sich von einer geschlossenen Buchhandlung Lektüre besorgen zu lassen (muss man sich auch mal auf der Zunge zergehen lassen) – jetzt können Sie fast wie in normalen Zeiten im Laden stöbern. Den Büchern dürfen Sie dabei so nahe kommen, wie Sie wollen, zum Buchhändler halten Sie bitte Abstand: Hält gesund und spart Bußgeld. – Aber ich entlasse Sie natürlich nicht in die neue Teil-Freiheit, ohne Ihnen noch ein Buch besonders ans Herz zu legen (und für alle, die fürchten, vom vielen Scrollen einen Mausarm zu kriegen, habe ich die Bücher, über die ich hier in den vergangenen Wochen plaudern durfte, noch einmal zusammengefasst…). Vielleicht sehen wir uns demnächst bei einer der hoffentlich bald wieder möglichen Veranstaltung im Heine Haus. Bis dahin: Lesen Sie gut und bleiben Sie gesund!
Warum dieses Buch in Deutschland nicht Schullektüre ist, verstehe ich nicht. Seine gerade mal 100 Seiten dürften kaum einen Schüler überfordern, es geht um kurze, strukturierte Texte, nämlich Briefe, und der Inhalt ist tagesaktuell, obwohl das Werk mehr als 70 Jahre auf dem Buckel hat: die Rede ist von Susanne Kerckhoffs „Berliner Briefen“, die der Verlag Das Kulturelle Gedächtnis jetzt wieder aufgelegt hat. Nach ihrem Erscheinen hat das Buch – zu Recht – in Deutschland viel Staub aufgewirbelt, aber die in Ostberlin lebende und arbeitende Kerckhoff meinte es wirklich ernst mit Entnazifizierung und einer neuen Gesellschaft (keine Moskau-gesteuerte freilich) – und damit lag sie natürlich falsch.
Apropos falsch liegen: Wie leicht geht uns dieser Begriff von den Lippen, obwohl er doch ziemlicher Unsinn ist. Kerckhoff-Leser sind gewarnt: „’Richtig liegen?‘ Dieser moralische Unterweltsbegriff ist eines der Gräber der Demokratie – In Deutschland legt man sich also erst einmal hin. – Und liegt man ‚richtig‘, dann wird man arrogant und bedient sich skrupellos aller Praktiken, die das unzüchtige Bett der Gesinnungslumperei zulässt. So war es in den vergangenen zwölf Jahren. Der Deutsche legte sich richtig, er schaltete sich gleich, und dann ging es los mit ‚Erlaubt ist, was gefällt.‘“ – Können Sie auch nur ein Körnchen Staub auf diesen Sätzen entdecken?
Kerckhoff (geboren 1918, und ihren 70. Todestag am 15. März haben wir gerade verpasst) will „nicht von einer falschen Richtung in die nächste falsche rennen“ und hoffen, diesmal sei es vielleicht ein bisschen weniger falsch. Gerade diese Nicht-Unfehlbarkeitshaltung macht Kerckhoff außerordentlich glaubwürdig. Sie schreibt in der unmittelbaren Nachkriegszeit unter dem literarischen Alias „Helene“ Briefe an einen jüdischen Jugendfreund in Paris und erklärt ihm, wie es in der Nachkriegszeit in Deutschland aussieht. Wie es passieren konnte, dass auf einmal alle Nazis verschwunden sind. Wie sich im Osten eine Einheitspartei etabliert, die in vielem ganz fatal an die braune Vorgänger-Staatspartei erinnert. Und sie erklärt auch, dass sie zur Nazizeit keineswegs eine Heldin gewesen ist, aber es sich immerhin versagt hat, Lehrerin zu werden, „um nicht in die Falle zu geraten, Kinder nazistisch erziehen zu müssen. Stattdessen wurde ich Hilfsschwester beim Roten Kreuz in Berlin…“ Sprachlich bringt sie ihre Anliegen genau auf den Punkt – hohle Politikerphrasen sind ihr fremd. (Weshalb sich ihr Buch frisch wie am ersten Tag liest.)
Das konnte im Osten natürlich absehbar nicht gut gehen (im Westen wäre es ihr wahrscheinlich auf die Dauer auch nicht gut bekommen – es ist immer schwierig, wenn jemand die hehrsten Verkündungen von Politikern ernst nimmt, und daran hat sich bis heute nicht viel geändert.). Sie wurde auf üblichem Wege kaltgestellt und hat sich am 15. März 1950 das Leben genommen.
Damit Sie nicht glauben, mir wäre die Puste ausgegangen: Morgen hätte ich Ihnen zwei wunderbare Amerikanerinnen ans Herz legen wollen: Eileen Myles und ihre Erinnerungen an New York von „damals“ „Chelsea Girls“ (Matthes & Seitz) und die bitterböse Mary Gaitskill und ihr Buch „Bad Behavior“ (Blumenbar). Ich setze die Damen – damit nix verloren geht – unten mit auf die Liste. Lesen Sie selbst! Ulrich Faure
Sie erreichen die Buchhandlung telefonisch unter 0211 311 25 22, per E-Mail muellerundboehm@heinehaus.de, oder online über den Shop. – Und ab heute auch persönlich!
Die Bücher:
Balzac – alles – trauen Sie sich!
Rob van Essen „Der gute Sohn“ (homunculus)
Marina Frenk „ewig her und gar nicht wahr“ (Wagenbach)
Mary Gaitskill „Bad Behavior“ (Blumenbar)
Caspar Henderson „Neue Karte der Weltwunder. Eine Forschungsreise zu den Rätseln der Naturwissenschaften“ (Matthes & Seitz)
die horen Nr. 277 (Hrsg. Andreas Erb und Christoph Hamann) „Niemand weiß, wie ich gewesen“ (Wallstein)
Johannes V. Jensen „Himmerlandsgeschichten“ (Guggolz)
Susanne Kerckhoff „Berliner Briefe“ (Verlag Das kulturelle Gedächtnis)
Johann-Günther König „Das große Geschäft“ (zuKlampen!)
Marga Minco „Das bittere Kraut“ und „Ein leeres Haus“ (Arco)
Augusto Monterroso „Gesammelte Werke“ (Insel)
Eileen Myles „Chelsea Girls“ (Matthes & Seitz)
Die Gruppe OIL „Naturtrüb“ (Verbrecher Verlag)
Ragnar Helgi Ólafsson „Handbuch des Erinnerns und Vergessens“ und „Denen zum Trost, die sich in ihrer Gegenwart nicht finden können“ (ELIF-Verlag)
Fran Ross „Oreo“ (dtv)
Pieter Waterdrinker „Tschaikowskistraße 40“ (Matthes & Seitz)
Helen Wolff „Hintergrund für Liebe“ (Weidle)
Lesen unter der Fuchtel von Corona 23
Je weiter ich bei den Frühjahrsprogrammen der Verlage vordringe, die nun wegen seit Wochen geschlossener Buchhandlungen (was sich zum Glück ab Montag ändert!) und abgesagter Veranstaltungen auf Eis liegen, desto mehr beschleicht mich der Verdacht: Dieser Bücherfrühling hat das Zeug zu etwas ganz Besonderem. Keine Ahnung, wie viele austauschbare Weglass-Titel insgesamt gedruckt wurden (wir müssen uns nichts vormachen – das dürfte die überwiegende Menge sein), aber da sie uns im Moment nicht qua Masse die Sicht versperren, haben wir einen etwas freieren Blick auf die Perlen. Von ein paar von ihnen war hier schon die Rede.
Heute möchte ich an einen Nobelpreisträger erinnern, den leider kaum noch jemand kennt. Obwohl er sich seinen Preis wirklich verdient hat (im Gegensatz zu einigen Kandidaten, denen er aus politischen oder Marketing-Gründen nachgeworfen wurde): der Däne Johannes V. Jensen (1873-1950 – am 25. November hat er seinen 70. Todestag). In den 1920er Jahren war der Mann bei S. Fischer auch in Deutschland ein Bestsellerautor, 1944 erhielt er den Literatur-Nobelpreis (der von 1940-1943) nicht verliehen wurde. Und zwar für den 3. Band seiner „Himmerlandsgeschichten“.
Diese Geschichte waren auch meine Erstbegegnung mit dem Autor, als ich mich vor 20 Jahren von links nach rechts durchs S. Fischer-Archiv gelesen habe, um zu sehen, was man vielleicht wieder einmal auflegen sollte. Geworden ist aus diesem Projekt leider nichts. Um so mehr freut es mich, dass sich der Guggolz-Verlag mit dem großartigen Übersetzer Ulrich Sonnenberg verbündet hat, diese literarischen Preziosen neu herauszubringen – natürlich in exzellenter Ausstattung. Im Frühjahr ist nun der zweiten Band „Himmerlandsgeschichten“ (den ersten, „Himmerlandsvolk“, gibt es bereits seit 2017) erschienen.
In meinen Uraltaufzeichnungen (in denen auch etwas zu einem sechsbändigen Jensen-Werk mit dem Titel „Die lange Reise“ über die Frühgeschichte der Menschheit und über einen Faustroman mit dem Titel „Dr. Renaults Versuchung“ steht) ist vermerkt: „muss neu übersetzt werden“. Das hat Sonnenberg getan, und ich habe auch den Eindruck (kann es aber nicht kontrollieren, weil die Fischer-Originalausgaben natürlich wieder im Archiv sind), dass unter den vorliegenden Geschichten einige sind, die ich bisher noch nicht kannte. Beginnende (?) Vertrottelung, oder kann es sein, dass diese Geschichte jetzt zum ersten Mal vollständig auf Deutsch erscheinen? Wie auch immer – lesen Sie sich da mal ein, der Ruf nach mehr kommt dann von allein… Ulrich Faure
Sie erreichen die Buchhandlung telefonisch täglich von 10-14 Uhr unter 0211 311 25 22, vierundzwanzig Stunden per E-Mail muellerundboehm@heinehaus.de, oder online über den Shop.
Lesen unter der Fuchtel von Corona 22
Es hätte das ganz große Ding des Frühjahrs werden können nach dem bekannten Ausspruch: „Lass uns eine Band gründen und eine Million Dollar verdienen.“ Der Satz gehört zum Gründungsmythos der Doors, und die eine Million dürfte bei denen tiefgestapelt sein.
Hier geht’s aber um die Gruppe OIL: vier Herren in den 50ern, die eine Band gegründet haben, nämlich besagte Gruppe OIL, und im April eigentlich loslegen wollten, die Welt oder zumindest Deutschland zu erobern. Und sie haben noch mehr getan als Jim Morrison: Sie haben gleich das Buch zur Band, den Tagebuchroman „Naturtrüb“ (Verbrecher Verlag) mitgeliefert.
Die vier Musiker seien nun auch endlich genannt: Timur Mosh Cirak, Reverend Christian Dabeler, Maurice Summen (der spielt zufällig auch noch in einer Band namens Die Türen…) und Gereon Klug, und da diese vier nicht nur als Musiker alte Hasen sind, sondern auch virtuose Texter (Timur sogar Zeichner), weiß man jetzt nicht, ob sie das Buch zur Platte (das gleichnamige Album „Naturtrüb“ ist bei ZickZack, Alfred Hilsbergs Kult-Label erschienen) oder die Platte zum Buch gemacht haben.
Im Frühjahr wollten die vier Herren auf Tournee gehen (hören Sie mal bei YouTube rein»») – hoffentlich lässt sich das alles im Herbst nachholen. Dürfte ziemlich einmalig werden, auch wenn’s auf den ersten Blick nicht so wirkt.
Was die Herren nämlich perfekt beherrschen, ist die Tiefstapelei: Sie sind als Musiker mindestens genauso ausgebufft wie als Autoren. Ihre Musik steckt voller Zitate, die aber so versteckt sind, dass man sie erst beim zweiten oder dritten Hören mitbekommt. Ihr Tagebuchtext über die Bandgründung beim Verbrecher Verlag scheint vordergründig ein reiner Schenkelklopfer zu sein, er tischt einem mit breitem Grinsen aber viele Wahrheiten auf, bei denen einem eigentlich gar nicht nach Grinsen zumute ist. Alles ist feinstens in Wortwitz verpackt, was heißt: der Aha-Effekt erfolgt Sekunden nach dem Lesen. Das Typischste, worum es sonst beim Rock’n’Roll geht: Frauen und Love, fehlt freilich: „Beides interessiert uns libidinös aktuell stillgelegte Männer nicht.“ – Auf so einen Satz muss man erst mal kommen!
Insgesamt ein multimedialer Riesenspaß (Martin Sonneborn behauptet, im Kulturausschuss des EU-Parlaments lese man nichts anderes; ihm will ich’s ja gern glauben) und eines der intelligentesten und eigenwilligsten Kunstprojekte der letzten Jahre. Oder wie der Herr Klug (Texter, u.a. für Deichkind; OIL-Sänger, Saxer) schreibt: „Zudem denken viele Leute, bei mir sei immer alles lustig gemeint. Doch bei mir ist nichts lustig gemeint, nein, es ist lustig, eventuell lustig – aber ernst gemeint.“ Die „4 kaltgepressten Männer mit sardonischer Abschlußstärke“ (Selbstbeschreibung) sind vorbereitet für eine Konzert- plus Lese-Tour. Hoffentlich bald auch hier in der Gegend.
Eine Leseprobe gibt es hier»» Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 21
Sie haben es gehört: Ab Montag dürfen Buchhandlungen wieder öffnen. Ich würde ja gern behaupten: Da hat die Obrigkeit wohl gestern meine Kolumne gelesen und ein Einsehen gehabt. Sicher nicht. Aber seien wir trotzdem froh, dass man ab Montag nicht nur Brot und Brötchen, sondern auch wieder geistige Grundnahrungsmittel kaufen darf. Sollte ich in den vergangenen Wochen die eine oder andere Anregung gegeben haben, würde es mich freuen. Und bis Montag hätte ich auch noch ein paar Tipps auf Lager. Bleiben Sie mir bis dahin treu?
Jeden Abend sehen wir im Fernsehen einen der inzwischen republik-bekannten Virologen. Wissenschaftler führen das Wort zu Sendezeiten, die jahrelang für die ewig gleichen Worthülsen der Politiker reserviert waren. Wie man hört, hat das oft als Staatsfunk geschmähte Fernsehen gerade in Krisenzeiten als sichere Informationsquelle reichlich Zulauf. Die paar Unverbesserlichen, die auf knallkopp.tv ihren Verschwörungstheorien nachhängen, können wir vernachlässigen – letztlich werden auch sie von der Realität eingeholt.
In diesen Zeiten also ein Buch über Wissenschaft und Entdeckung zu lesen, ist mehr als zeitgemäß. Und Autor Caspar Henderson sagt auch gleich im Titel, worum es geht: um Weltwunder. Und ist es nicht auch so, dass wir jeden Abend zur Tagesschauzeit, wenn einer der Weißkittel befragt wird, nicht ein klein bisschen ein Wunder von ihm erwarten – bzw. verkündet haben wollen?
Aber genau mit den Wundern ist es so eine Sache, wie Henderson in seinem unbedingt lesenswerten Buch „Neue Karte der Weltwunder. Eine Forschungsreise zu den Rätseln der Naturwissenschaften“ (Matthes & Seitz) erzählt: Wir nehmen sie zwar als solche wahr, aber es sind keine. Herausgekommen ist ein fesselndes Geschichts- und Geschichtenbuch, das uns die Wunder des Daseins wie Licht, Leben, Herz, Hirn und Welt nahe bringt. Henderson schafft es, trotz der nicht selten komplizierten Materie kurzweilig zu schreiben. Verschwörungstheoretiker freilich sollten das Buch nicht lesen: Erkenntnis könnte ihr schönes heiles Weltbild bedrohen. Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 20
A shutdown is a shutdown is a shutdown. Und social distancing is social distancing. Denkt man sich als schlichter Bürger so (noch darüber nachgrübelnd, ob unsere weisen Staatslenker vielleicht die deutschen Begriffe dafür nicht kennen, warum sonst denglischen sie durch die Gegend, was das Zeug hält?). Stimmt aber nicht. Für die Shutdown anordnenden Politiker gilt das nicht: Jens Spahn, Volker Bouffier und Helge Braun drängelten sich gestern in Gießens Uniklinik in einen Fahrstuhl, als gäb’s keine Treppen. Hatten sie noch Platz genug, sich das Bußgeld (das unsereinem ohne Wenn und Aber aufgebrummt werden würde) für diesen Verstoß gleich gegenseitig in die Jackettaschen zu stecken? Das Netz jedenfalls zeigte sich irritiert, wie ernst „die da oben“ ihre eigenen Ukasse nehmen.
Auch ist die Logik des überall Dichtmachens formallogisch nicht so ganz nachvollziehbar: Wenn die Druckerpatronenauffüllstation bei mir ums Eck offen sein darf, warum der Buchhandel nicht? Hat das Virus vielleicht Vorlieben für bestimmte Branchen, ist es möglicherweise gegenüber Buchkäufern besonders aggressiv und nett zu denen, die billige Tintenpatronen brauchen, um die Fotos vom letzten Urlaub auszudrucken? Wenn ja, ist es noch nicht kommuniziert worden.
Gestern nun hat der CPI-Germany-Chef Olivier Maillard (nein, nicht der Corruption Perceptions Index von Transparency International ist gemeint, sondern die international tätige Buchdruckereien-Gruppe, die in sieben Ländern tätig ist) in einem offenen Brief an Frau Karlicek (ist unsere Bildungsministerin) Alarm geschlagen:
„Wann, wenn nicht jetzt, wäre die richtige Zeit, den Kleinkindern ein gutes Buch vorzulesen und von den aktuellen Nachrichten einmal abzulenken?
Wann, wenn nicht jetzt, könnten die Schülerinnen und Schüler begleitende und vertiefende Informationen zum Schulstoff aufnehmen?
Wann, wenn nicht jetzt, benötigen Studenten und Wissenschaftler fundamentale Forschungsberichte?
Deshalb bitten wir, die Buchhandlungen auch für Bücher zu öffnen. Geradezu skurril wirkt es, wenn ich zwar die Zeitung in meiner Buchhandlung kaufen kann, das Buch aber nicht. Vergleichbar wäre der Bäcker, der zwar Kuchen verkaufen darf, Brot aber nicht. […]
Deshalb bitten wir Sie, die Buchhandlungen mit dem Zeitschriftenhandel als relevante Einzelhandelsform gleichzustellen.“
Das alles wäre möglich, ohne an den verordneten Maßnahmen auch nur ein Tüppelchen zu ändern. Man muss es nur wollen. Und zuvor die Notwendigkeit erkennen… Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 19
Wünsche Ostern gut überstanden zu haben! Das Wetter war ja herrlich, die Parks waren voll – und wären die Kneipen nicht verriegelt und verrammelt, hätt’ man vom Ausnahmezustand gar nicht soviel gemerkt.
Wenn ich auch ein alter Papiermensch bin, schaue ich doch hin und wieder, was in Digitalien so los ist. Bei meinen Streifzügen fange ich immer bei Wolfgang Schiffers „Wortspiele“-Blog»» an, nicht nur, weil ich mit meinem „horen“-afficionado seit Jahren befreundet bin, mit ihm jahrelang auf Lesetour war, sondern vor allem, weil ich durch seine „Schuld“ seinerzeit der isländischen Literatur verfallen bin.
Über seine Übersetzung von Ragnar Helgi Ólafssons „Handbuch des Erinnerns und Vergessens“ aus dem ELIF-Verlag habe ich neulich an dieser Stelle geschrieben (Haben Sie das Buch denn schon gelesen? Nicht, dass ich kontrollieren will, aber so ein bisschen Wirkung erhofft man sich ja doch, wenn man was schreibt…).
Vor ein paar Tagen hat Wolfgang – wahrscheinlich weil seine Frau für mich vorsorglich einen Mundschutz genäht hat, ich mit meinen zwei linken Händen und alles voller Daumen wäre nie im Leben in der Lage dazu – in seiner Bibliothek gekramt und dabei den besten Mundschutz aller Zeiten ans Licht gefördert, natürlich ein Buch, was sonst»». Und selbstverständlich war es ein Isländer (Sveinn Yngvi Egilsson), den natürlich auch Wolfgang und Jón Thor Gíslason übersetzt haben, in dessen Buch die poetische Gebrauchsanweisung für diesen ganz besonderen Mundschutz steht (und vielleicht zeichnet Rudolf Müller ja einen Strip dazu…).
„Ein Buch zu lesen, ist nur eine Methode, etwas zwischen dem Gesicht und der Welt zu haben. Auch Tageszeitungen taugen hierzu, Computer und Regenschirme. Die alten Helden benutzten Schilde, um sich hinter ihnen zu schützen. Das Buch gewährt einen perfekten Schutz, wenn es über dem Gesicht eines liegenden Menschen aufgeschlagen wird, vorzugsweise in einem öffentlichen Park an einem Schönwettertag. Der Duft von Papier erfüllt die Sinne, und man muss nicht einmal lesen, sondern kann den Text mit dem Körper inhalieren. Keiner drangsaliert einen Menschen, dessen Gesicht aussieht wie ein Buch, dessen Nase wie ein Buchrücken, der vom Kinn bis zur Stirn reicht. Die Welt geht an einem solchen Menschen vorbei und stört ihn nicht weiter.“
Noch Fragen? Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 18
Einer „meiner“ Autoren (was nicht possessiv gemeint ist, sondern nur ausdrücken will, dass ich ihn übersetzen durfte) hatte auf seinem Blog eine lustige Idee, seine Lesetour durch die Niederlande zu promoten: Rob van Essen hat im letzten Jahr den niederländischen „Pulitzer“, den Libris-Preis, mit seinem Roman „Der gute Sohn” gewonnen (auf Deutsch hat ihn jetzt der homunculus-Verlag Erlangen herausgebracht), und fortan war kaum ein Autor im Lande so gefragt wie er. Der Libris-Preis ist hoch dotiert, in kleinen Scheinen würde er schon ein Köfferchen füllen. Rob, einer der ironischsten Autoren, die ich kenne (weshalb ich mich auch so um die Übersetzung des Buches gerissen habe), platzierte als Blickfang auf seiner Homepage ein Sofa und schrieb darunter: „Liebe Einbrecher, Sie vermuten natürlich richtig, dass ich mein Preisgeld im Geldkoffer bekommen habe, der jetzt unter dieser Couch (Foto oben) liegt. Damit wir uns nicht in die Quere kommen und Sie in Ruhe Ihrer Verrichtung nachgehen können, hier die Liste meiner Abwesenheiten (Lesungen)“ – dann der Link.
Gern hätte ich dem niederländischen Einbruchsgewerbe (dazu gleich) zu neuen Gelegenheiten verholfen und wäre mit Rob in Deutschland auf Lesereise gegangen: Aber coronabedingt sitzt er jetzt zu Hause auf dem Geld und ich vorm Computer, um Sie auf diese unauffällige Art und Weise mit dem Autor ein bisschen bekannt zu machen – was ja live und in Farbe derzeit nicht möglich ist. (Naja, einen kleinen Eindruck gibt’s hier»»
Womit klar ist: die Gilde der Einbrecher hat’s mit Corona auch nicht eben leicht. Gelernt habe ich das auch aus einem wunderbaren Roman von Peter Buurman (den es noch nicht auf Deutsch gibt, den ich hoffentlich aber mal übersetzen kann, wenn unsere Branche diese Corona-Katastrophe überstanden hat und wieder planen kann: Der Autor (er hat auch mal für das niederländische Pendant der deutschen heute-show gearbeitet) begleitet einen Berufseinbrecher (der von einer Agentur gesteuert und entlohnt wird) in das Haus eines Schriftstellers, in dem natürlich nix zu holen ist. Und da sie beide Hunger haben, fahren sie erstmal gemeinsam in einen Grillroom. Mit dem Rest dieser skurrilen Geschichte müssen Sie sich, wie gesagt, noch gedulden – den Roman von Rob freilich können (und sollten) Sie sofort lesen. Eine solche poetisch-autobiographische Rückschau auf ein Halbjahrhundert wie im „Guten Sohn“, verpackt in eine Road-Novel mit etlichen Thriller-Anteilen (plus einem Blick in die nahe Zukunft), und das alles mit erfrischender Ironie versetzt, habe ich noch nie gelesen. Den Roman von Peter Buurman hat Rob van Essen übrigens auf der Bauchbinde wärmstens empfohlen, nun steht er auf der Bestsellerliste, auf der sich „Der gute Sohn“ lange getummelt hat… Ulrich Faure
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Haben Sie trotz aller Einschränkungen ein schönes Osterfest! Ich hoffe, wir lesen uns am kommenden Dienstag wieder!
Lesen unter der Fuchtel von Corona 17
Wie gut, dass die Buchbranche nicht mit leicht verderblichen Gütern handelt: Bücher sollten doch eine „Genussdauer“ haben, die über die einer Tageszeitung hinausgeht. Da nun die Frühjahrsprogramme der Verlage sozusagen auf Eis (wenn auch derzeit in schönster Frühlingssonne) liegen, ist es nur vernünftig, dass beispielsweise der Verlag Voland & Quist für den Herbst einen zweiten Frühling ausgerufen hat»». „Wir gehen mit unseren Frühjahrstiteln und zwei Ergänzungen in die Verlängerung und möchten so einen ganzjährigen Fokus auf diese Titel legen. Ihren großen Auftritt auf der Leipziger Buchmesse konnten sie nicht wahrnehmen, stattdessen sollen sie nun sowohl in Frankfurt als auch in den Herbstprogrammen der Veranstaltungshäuser und den Regalen der Buchhandlungen gebührende Aufmerksamkeit gewinnen“, so die Verleger.
Die Langlebigkeit vieler literarischer Werke hat der diesjährige Bücherfrühling nachdrücklich unterstrichen. Hier sind nämlich zahlreiche Werke neu zu entdecken, die zu gut und zu wichtig sind, als dass sie in der hektischen Jagd nach Novitäten untergehen dürften. Nehmen wir uns heute mal „Oreo“ von Fran Ross bei dtv vor, ein Roman, der die Eigenschaften einer Wiederentdeckung mit denen einer Novität (zumindest im deutschen Sprachraum) aufs Schönste vereint. Dieser „feministische Schelmenroman [als] eine Art Antwort auf James Baldwin“ (Maike Albath) erschien zwar schon 1974, bisher aber nie auf Deutsch. Und jetzt schaffte er es mit der grandiosen Übersetzung von Pieke Biermann gleich aufs Siegertreppchen in der Sparte „Übersetzung“ beim diesjährigen Leipziger Buchpreis.
Die Autorin Fran Ross erzählt die Geschichte des Mädchens Christine, das zu einer äußerst selbstbewussten jungen Frau heranwächst, mit unglaublichem Sprachwitz. Diese Christine, wie die Autorin Tochter eines weißen Juden und einer Schwarzen aus Philadelphia, macht sich auf die Suche nach ihrem verschwundenen Vater und wird dabei zu einem weiblichen Theseus-Wiedergänger, fasst Rezensentin Antje Rávic Strubel die Story dieses Romans, der eine der wichtigsten Satiren der schwarzen Literatur sein dürfte, bündig zusammen. Jede Figur habe dabei ihren eigenen Sprachtick, erklärt die Rezensentin, sprachliche Grenzen und Stereotype hebelt Ross mit „zahllosen Sprachspielen, Lautmalereien und Wortfindungsreichtum“ auf. Dass Pieke Biermann dieses Sprachkunstwerk dann auch noch kongenial übersetzt hat, macht das Lese-Glück der Rezensentin vollkommen.
Dazu Antje Rávic Strubel: Die Übersetzerin hat es geschafft, all die „sprachtrunkenen“ Fantastereien der Autorin so ins Deutsche zu übertragen, dass man jetzt auch hier erfahren kann, inwiefern Sexismus und Rassismus immer mit Sprache verwoben sind. – Übrigens war der Roman – ganz ohne Corona-Sperre – bei seinem Erscheinen 1974 ein ziemlicher Flop. Er wurde mehrfach wiederentdeckt, bis man ihn schließlich als ein Meisterwerk erkannte, das seiner Zeit voraus war. Zu hoffen bleibt – auch nach den einhellig begeisterten Kritikerstimmen in Deutschland, dass „Oreo“ hierzulande ohne Umweg zu seinen Lesern findet, auch wenn die Türen des Buchhandels zugesperrt sind. Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 16
Ich mache mir langsam Sorgen um mich. Wenn ich die obige Kolumnennummer sehe und mir überlege, dass ich seither ja behördlich irgendwie eingesperrt bin – dann wundert es mich, dass bei mir zu Hause die Decke noch oben ist und ich leider noch keine Zeit hatte, mich zu langweilen.
Schon gleich am Anfang der Ausgangsbeschränkungen zauberten verschiedene Medien den Begriff „Lagerkoller“ aus dem Hut. Tun wir mal so, als sei Wikipedia ein zitierfestes Medium und gucken nach: „Unter Lagerkoller einzelner oder mehrerer Personen versteht man umgangssprachlich einen vorübergehenden psychischen Erregungszustand bei zwangsweiser Lagerunterbringung, wie er vor allem in Gefängnissen (wie Konzentrationslagern), Kasernen, Kriegsgefangenenlagern, Deportierungslagern, Flüchtlingslagern, Notunterkünften und Katastrophenschutzlagern bei anhaltend belastenden und unabsehbar lange andauernden Bedingungen vorkommt.“ – Hätten wir uns auch sparen können, den Blick in dieses Online-„Lexikon“. Das Wort selbst sagt ja schon alles. Aber vielleicht hätte der eine oder andere Redakteur da mal klicken sollen, ehe er übers Papier schwadroniert.
Fehlanzeige auch mit Langeweile. Ich krieg’s als Neu-Rentner einfach nicht hin. Zuviel gute Musik in der Welt, zu viel Lektüre-Nachholebedarf, und auch ein Corona-Tag hat nur 24 Stunden. Und ich erlaube mir, neben Büchern für diese Kolumne auch mal was zu lesen, was ich mir schon immer vorgenommen hatte. Wenn Sie’s genau wissen wollen: Balzac von links nach rechts. Da ich etwa in der Mitte bin (ich habe natürlich vor Corona angefangen, musste aber immer wieder große Pausen einlegen), kann ich Ihnen versichern: Selten hat mich eine Lektüre so süchtig gemacht. Je weiter man in diesem Kosmos der „Menschlichen Komödie“ vordringt (ja, und da gibt es auch Edelkitsch, aber den sitzt man auf einer Backe ab…), desto unglaublicher erscheint es einem, was dieser Autor geleistet hat. Die bange Frage ist nur: Wer liest’s heute noch? Gibt’s überhaupt eine aktuelle Werkausgabe? Die letzte (von Diogenes), die mir unter die Augen gekommen ist, stammt aus dem Jahr 2007.
Kolumne fertig – Balzac-Time: Noch liegen sechs Dünndruckbände à 1000 Seiten vor mir. Es nimmt erschreckend schnell ab. Wenn ich dann durch bin – ob ich dann endlich mal einen Tag Langeweile habe? Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 15
Als ich das letzte Mal kurz vor dem „richtigen“ Shutdown bei Müller & Böhm war (unter Beachtung der Regel: Nie aus dem Haus gehen, ohne ein Buch dabeizuhaben, was bei den eigenwilligen Verkehrszeiten, die die Rheinbahn in Düsseldorf euphemistisch Fahrplan nennt, sowieso immer ein guter Plan ist), hatte ich Marina Frenks „ewig her und gar nicht wahr“ von Wagenbach dabei. Obwohl ich noch nicht durch war, wollte ich es Rudolf Müller als ganz heißen Tipp des Frühjahrs verkaufen, er aber, Profi der er ist, winkte ab: Liegt längst ganz oben auf dem Lesestapel…
Warum die Leipziger Buchpreis-Jury es aussortiert hat, ist mir unverständlich, und in diesem Falle lasse ich auch keine Geschmäcklereien gelten – wer ein solches Buch übersieht, der hat Tomaten auf den Augen.
Da muss eine 1986 in Moldawien geborene Musikerin und Schauspielerin, die seit 1993 in Deutschland lebt, zur Feder greifen, um uns Eingeborenen hier – ich vereinfache – das Thema Exil und die Langzeitfolgen – so nachdrücklich vor Augen zu führen, dass man als Leser wie vor den Kopf geschlagen ist. Und dabei passieren im Buch nicht einmal die schlimmen Dinge, die man gemeinhin mit dem Thema verbindet (und wie wir gerade EU-weit Völkerrecht Völkerrecht sein lassen, gehört zwar nicht zum Roman, muss aber bei diesem Thema immer mitgedacht werden).
Frenk verarbeitet in ihrem erstaunlichen Buch in groben Zügen ihre eigene Familiengeschichte. Ihr Alter Ego ist die junge Malerin Kira (die wie sie aus Moldawien stammt, jüdische und russische Wurzeln hat – auch den kleinen Sohn der Heldin aus dem Buch gibt’s in Wirklichkeit). Kira hält sich mit Malkursen für Kinder über Wasser und durchlebt nach anfänglichen Erfolgen eine Schaffenskrise. Allmählich geht ihr das Geld aus, und auch ihre Beziehung mit ihrem Freund Marc, der als Dozent an einer Journalistenschule arbeitet, ist auf dem totesten Punkt ever. Sie weiß nicht, ob er fremdgeht – und es ist ihr inzwischen auch ziemlich egal.
Dafür fängt Kira an, sich mit Vergangenheit und Zukunft zu beschäftigen, um die Gegenwart besser zu begreifen. Ständig wechseln im Roman die Zeitebenen und Orte der Handlungen, und allmählich lernt der Leser die russisch-jüdische Familiengeschichte (von der nicht jedes Geheimnis zu lüften ist) kennen. Den meisten ist nach dem Krieg (also: dem Zweiten Weltkrieg) der Sprung nach Westeuropa (bzw. Israel) gelungen. Aber heißt Hier-Sein wirklich auch Angekommen-Sein?
Eine solche Familiengeschichte dürfte in unseren Tagen nicht ganz so einmalig sein. Was aber dieses Buch so unglaublich macht, ist die Sprache. Frenk, die Deutsch natürlich als Fremdsprache erlernt hat (und, wie YouTube-Clips mit Konzertausschnitten – sehenswert! – beweisen, akzent- und dialektfrei spricht) hat es geschafft, tausendmal Erzähltes in neue Worte zu fassen. Oder nein: nicht neue Worte. Sie verzichtet einfach nur auf alle die gängigen Sprachschablonen, die sich inzwischen auch in die Literatur eingefressen haben: Das macht ihr Buch zur worthülsenfreie Zone.
Nur ein Beispiel von unzähligen: Bei der Ausreise der Familie müssen an der Grenze die rumänischen Zöllner geschmiert werden, und da gibt es Probleme. Heldin Kira mit ihren gerade mal 7 Jahren merkt trocken an: „… ich möchte nicht stören, Mama und Papa brauchen die ganze Zeit für ihre Angst.“ Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 14
Jede Krise treibt ihre eigenen Blüten. Und ruft jede Menge Irre auf den Plan. Da wären erstmal die ganzen Verschwörungstheoretiker, deren Stunde jetzt geschlagen hat, ihre kruden Vorstellungen in die Welt zu blasen. Haben wir ja alle im Fernsehen gehört. Und werden uns hüten, auf ihre Sites zu verlinken, auch wenn es – zugegeben – manchmal doch erheiternd ist zu sehen, wie viel Blödsinn auf eine Bildschirmseite passt.
Während hierzulande saftige Bußgelder für die drohen, die sich den Corona-Regeln widersetzen, zeigt der Philippinen-Diktator Duterte mal wieder, wes Geistes Kind er ist, und fordert seine Polizisten auf, die Leute, die sich nicht an die Regeln halten, einfach zu erschießen. Sollte all denen zu denken geben, die in Krisenzeiten von einer harten Hand des Staates träumen.
In Panama und Peru hingegen scheint man zu meinen, das Virus unterscheide zwischen Männlein und Weiblein: Heißt: Männer dürfen nur noch montags, mittwochs und freitags auf die Straße. Leider gibt die Presseerklärung weder Auskunft, wann die Transsexuellen rausdürfen und wie es am Wochenende gehandhabt wird.
Da mutet es schon fast harmlos an, wenn man sich in Deutschland über Mundschutzpflicht streitet: Irgendwo ja, irgendwo nein. Da Bezeichnungen wie „Schutzmaske“ oder „Atemschutz“ einen Verstoß gegen das Medizinproduktegesetz darstellen (können), versuchen jetzt Abmahnanwälte ihren Reibach zu machen. Und da wir ja bekanntlich ein gewisses Defizit an diesen Masken haben, wurde geraten, sie mit einfachen Mitteln selbst zu basteln. Weil sich das dafür anbietende Klopapier eh schon knapp ist, bleibt abzuwarten, was diese Bastelanleitungen für den Befüllungsgrad bei Kaffeefiltern bedeutet. Kanzleramtschef Helge Braun übrigens warnt vor Masken Marke Eigenbau – als Intensivmediziner, der er in einem früheren Leben mal war, wird er wissen, wovon er redet.
Also: Am besten zu Hause bleiben, dann drohen keine bösen Überraschungen. Und wenn die Lektüre ausgeht: im nächsten Absatz steht, wo es Abhilfe gibt. Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 13
Gestern ist dem Kunstbuchverleger Lothar Schirmer der Kragen geplatzt. Seinen Schirmer/Mosel Verlag gibt es seit 46 Jahren, aber eine solche Situation wie die derzeitige hat er noch nicht erlebt. Und er hat einen „Offenen Brief an unsere Freunde im Buchhandel“ geschrieben, der sich aber auch an die Adresse der Politik richten dürfte.
„Die politischen Autoritäten haben es aufgrund mangelnden kulturellen Selbstbewusstseins zugelassen, dass Bücher, die einen Ehrenplatz in der Hierarchie zwischen Lebensmitteln und Medikamenten verdient hätten, als nicht notwendig eingestuft wurden für die physische und psychische Gesundheit der Bevölkerung. Der Kleinmut des Buchhandels und des Verlagswesens, den Börsenverein eingeschlossen, mögen dabei mitgewirkt haben. Auch das Publikum hat nicht dagegen protestiert. Sondern zunächst mit den Füßen für die Versorgung mit Klopapier votiert. Das ist beschämend.“
Der Verleger, branchenbekannt für seine klaren Worte, bringt es auf den Punkt. Denn tatsächlich ist nicht zu verstehen, warum man Buchhandlungen den Geschäftsbetrieb verbietet, während z.B. Tintenstationen zum Nachfüllen von Druckerpatronen weiterhin geöffnet sein dürfen.
„Und so stehen unsere Bücher nun als Obdachlose vor verschlossenen Türen und finden keinen Weg zum Publikum. Was ist zu tun? Wir alle müssen die Sache selbst in die Hand nehmen, Zuwarten hilft nicht“, so Schirmer weiter.
Als einen Lösungsansatz hat er jetzt seine Presseabteilung gebeten, beim Versand von Presseexemplaren die Medienpartner darauf hinzuweisen, dass besprochene Bücher auch direkt beim Verlag bestellt werden könnten. „Wir wiederum leiten eingehende Bestellungen an Buchhändler weiter, die vor Ort eine Versandbuchhandlung oder einen Lieferservice betreiben.“ Seine Bitte: „Melden Sie sich bitte bei uns, damit wir Sie berücksichtigen und auf unserer Website als Bezugsquelle nennen können.“
Und er meint: „Angesichts der Einstellung aller kulturellen und sportlichen Veranstaltungen bundesweit haben alle Medien jetzt mehr Platz für attraktive Bücher, die sie ihren Lesern, Hörern und Zuschauern nahebringen können.“ – Schön wär’s. Wir ahnen ja, wie der Platz verwendet wird.
Natürlich hofft er, dass die Buchhandlungen wieder geöffnet werden dürfen. Man wird ja sehen, ob in der Politik ein Umdenken einsetzt. Wenn nicht, könnte man leicht den Eindruck gewinnen, dass alle kulturpolitischen Bekenntnisse eher den Status einer Sonntagspredigt haben… Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 12
Es ist ein paar Jahre her, da habe ich mit einer Kollegin (wir hatten den BuchMarkt-Messestand in Leipzig gerade fertig aufgebaut und saßen beim Spanier in der Nähe der Thomaskirche) ein Projekt ausgetüftelt: nämlich das kleine Büchlein „Highlights der unabhängigen Verlage“ – als Pendant zum „großen Bruder“ des Kurt-Wolff-Stiftung-Katalogs „Es geht um das Buch“, der traditionell zur Frankfurter Buchmesse erscheint und dem Publikum einen Überblick über die Novitäten des Herbstes geben soll, die in den Mitgliedsverlagen der Kurt-Wolff-Stiftung erscheinen. Neidlos sei anerkannt, dass der große Katalog auch typographisch grandios ist – ich bin sicher nicht der Einzige, der ihn von Nr. 1 an gesammelt hat.
Das BuchMarkt-Heft, das wir in der Redaktion damals auch gleich für österreichische und Schweizer Indies geöffnet hatten, erschien (und erscheint) mit Unterstützung der Kurt-Wolff-Stiftung; wir haben immer die ganze Leipziger Messe damit geflutet. Und es wurde dann zu einem Orientierungswerkzeuz der Buchhändler, die nicht in Leipzig sein konnten, der gesamten Auflage des April-Heftes von BuchMarkt beigelegt.
So ist es auch in diesem Jahr wieder geschehen. Nur eben ohne die Leipziger Buchmesse. Was schade ist, denn allein schon beim Daumenkino der Verlage von Alexander bis zu Klampen! ist man erstaunt, was das Frühjahr wieder an lesenswerten Titeln gebracht hat. Knapp 100 Seiten Leseverführung pur! Nur, dass eben nicht nur die Messe ausgefallen ist, sondern auch der Buchhandel geschlossen hat und sich die Presse weniger um neue Bücher als um Corona kümmert…
Die BuchMarkt-Redaktion hat, wie mir eben telefonisch bestätigt wurde, das Heft trotzdem ordentlich unters Lesevolk gebracht, aber weiß man, ob auch Sie ein Exemplar abbekommen haben? Wenn nicht, kein Problem, schauen Sie hier»» und lassen Sie sich inspirieren (und Müller & Böhm die gewünschten Exemplare besorgen). Über einige der im Heft angezeigten Titel wird demnächst hier an dieser Stelle noch zu reden sein. Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 11
Eine der wenigen Lesereisen in diesem Jahr, die wenigstens angefangen haben: der preisgekrönte isländische Autor Ragnar Helgi Ólafsson war auf Tour mit einem seiner Übersetzer Wolfgang Schiffer (Mitübersetzer ist der isländische Maler Jón Thor Gíslason aus Düsseldorf). In Berlin war dann coronamäßig Schluss mit der Lesereise, von der es hier einige Impressionen gibt»»
Ich hatte mich gefreut, in Leipzig diesem Autor zu begegnen (und auch schon die Bücher zum Signieren bereitgelegt), nämlich den Gedichtbad „Denen zum Trost, die sich in ihrer Gegenwart nicht finden können“ (2015 mit dem Tómas-Guðmundsson-Literaturpreis ausgezeichnet) und die großartige Prosa-Sammlung „Handbuch des Erinnerns und Vergessens“ (nominiert für den Isländischen Literaturpreis). Beide sind im ELIF-Verlag erschienen, der ausstattungsmäßig alle Register gezogen hat (beim Gedichtband z.B. ein doppelt ausgestanztes Front- und Back-Cover und eine offene Bindung, und wer sagt, Lyrik verkaufe sich nicht, muss mir dann mal erklären, wieso dieser Band inzwischen in der dritten Auflage ist.
Aber den Gedichtband gibt es auch schon seit 2017 – er hat ein bisschen Zeit (und nicht geschlossene Buchhandlungen) gehabt, zum Leser zu finden. Und diese Zeit auch genutzt. Dieses Glück ist dem „Handbuch“ nicht beschieden. Das gibt es erst seit Februar, und es teilt das Schicksal fast aller Frühjahrsnovitäten: Corona hat eben auch Bücher weggesperrt. Vielleicht mögen Sie ja das eine oder andere Exemplar aus dem Knast befreien?
Eine meiner Lieblingsgeschichten des Bandes ist „Ragnar, seine Freunde und ich“. Ich werde den Teufel tun, sie hier nachzuerzählen, wie sollte ich das auch auf wenigen Zeilen schaffen, wenn der gar nicht geschwätzige Autor dafür 17 Seiten braucht! 17 Seiten voller Phantasie, Philosophie und Verschmitztheit (ob der Übersetzer in diesem Falle auch Pherschmitzheit zulassen würde?) Oder ist doch „Ein sauberes Eigentum“ mein Favorit? Schwer zu entscheiden – und möglicherweise sollte ich auch … – Nein, so wird das nichts. Besser, Sie machen sich ihr eigenes Bild.
Ólafsson ist übrigens auch Musiker (und Grafiker), jetzt hat er seinen Song „Hotel Null“ ins Internet gestellt»» Wer sich für den deutschen Text interessiert: den gibt es hier»» Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 10
Hartelijk gefeliciteerd, Marga Minco, zum 100sten!
Zur Leipziger Buchmesse sollte ihr im dortigen Literaturhaus eine ganz große Bühne gebaut werden: der heute auf den Tag genau 100 Jahre alten niederländischen Autorin Marga Minco. Ist natürlich wegen Corona nicht passiert.
Ihren großartigen kleinen Roman „Das bittere Kraut“ hatte Rowohlt (in der berühmten in Halbleinen gebundenen Taschenbuchausgabe) schon 1959 veröffentlicht, die Geschichte einer jüdischen Familie nach der Besetzung der Niederlande 1940. Dieses Werk – inzwischen in über 20 Sprachen übersetzt – gilt als einer der Klassiker der niederländischen Nachkriegsliteratur. Was – im Gegensatz zu Deutschland – heißt, dass das Buch bis heute gelesen wird und nicht als Artikel in einem Literaturlexikon verkommt.
Ebenso der Roman „Ein leeres Haus“, den es noch nie auf Deutsch gab – unklar warum. Er steht sogar komplett in der in feinstes Leinen gebundenen Gedundrukt-Ausgabe (also Dünndruck) des Verlags van Oorschot aus dem Jahr 2015 (der Verlag, in dem 1953 Thelens „Insel des zweiten Gesichts“ im Nachkriegs-Amsterdam auf Deutsch das Licht der Bücherwelt erblickte). Das ist eine Buchreihe, die jeweils ein Best-of eines bedeutenden niederländischen Schriftstellers präsentiert: für mich (auch typografisch) in ihrem ungewöhnlichen Format eine der schönsten Buchreihen der Welt.
Nun gibt es beide Minco-Romane in der grandiosen Übersetzung meiner lieben Kollegin Marlene Müller-Haas im Arco-Verlag (wobei zu fürchten ist, dass sich die Auslieferung coronär verzögert hat). Wer Arco-Bücher kennt, weiß um ihre exzellente Ausstattung. Wer sie noch nicht kennt, sollte das mit den beiden Minco-Büchern unbedingt nachholen.
Wäre eine Bestellung der Bücher am heutigen Tag nicht auch ein hübscher Geburtstagsgruß an die Autorin, auch wenn man die Bücher nicht gleich in die Hand gedrückt bekommt? Herzlichen Glückwunsch Marga Mico zum 100sten! Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 09
Es wäre zum Brüllen komisch, wenn es nicht so ernst wäre: Amazon, der mit Gnaden der EU-Politik steuerkreative Verein, der mal als Buchversand angefangen hat und mit seiner Krakenmentalität für den gesamten stationären Buchhandel ein rotes Tuch ist (auch im Antiquariatsbuchhandel kann man ihm kaum entkommen, denn auch ZVAB gehört – über AbeBooks: Amazon) geht jetzt vor Corona in die Knie. „Wir priorisieren vorübergehend den Eingang von Waren für den täglichen Bedarf, medizinischen Verbrauchsgütern und anderen Produkten mit hoher Nachfrage in unseren Logistikzentren“, hat das Unternehmen mitgeteilt. Also wer jetzt schnell noch einen aktuellen Bestseller in Amazonien bestellen will, sollte dem Mausklick einen Stoßseufzer zum Himmel hinzufügen; vielleicht hat der ja ein Einsehen. Oder einer der Amazon-Mitarbeiter, die das Unternehmen übrigens so mies bezahlt wie Jens Spahn vor kurzem das Krankenhauspersonal, für das er nun in der Krise seine Liebe entdeckt hat und es auf Händen trägt; schau’n wir mal, wie lange die Liebe dann in Zeiten geplünderter Staatskassen anhält…
Sie, liebe Leser, wissen es ja (sonst wären Sie nicht hier), wo man (selbst bei geschlossenem Laden) zuverlässig und schnell seinen Lesestoff herbekommt. Hoffen wir mal, dass nun viele Amazon-Jünger sich bei solch eklatantem systemischem Versagen darauf besinnen, wo der Buchhändler ihres Vertrauens seinen Sitz hat (und hinter zwangsverschlossenen Türen um das Überleben seines Geschäfts kämpft). Auch ein Zwischenhändler (Libri, der zu Tchibo gehört, was nun auch nicht die letzte Klitsche ist) zieht nicht mehr so richtig mit und storniert Vormerker, was – kurz gesagt – die Belieferung mit Büchern nicht geschmeidiger gestaltet.
Aber alle diese Unwägbarkeiten – liebe Leser – müssen Sie nicht interessieren. Dafür haben Sie ja Ihren Buchhändler vor Ort, auch wenn sie ihm derzeit nicht die Hand schütteln dürfen, dass er Ihnen diesen Bettel vom Halse hält. Weil der weiß, wie es geht. Und Sie nicht, wie die Umsatzkraken im Internet, im Stich lässt. Das wollen wir uns mal schön für die Zukunft merken und es jedem weitererzählen, der verdächtig ist, zu lesen und Bücher zu kaufen. Hoffen wir nur, dass die Post ihre Drohung, „weitere Einschränkungen ihrer Dienstleistungen“ vorzunehmen, nicht wahrmacht, indem sie so tut, als sei sie um die Gesundheit ihrer Zusteller besorgt (wovon die leben sollen, hat die Post jahrelang bekanntlich einen feuchten Schmutz interessiert; aber schön, dass auch hier eine Blitzläuterung stattzufinden scheint). Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 08
Es ist noch gar nicht so lange her, dass sie bei Müller & Böhm aus ihrem grandiosen Roman „Alle, außer mir“ (Wagenbach) gelesen hat: Francesca Melandri. Jetzt hat sie sich im „Spiegel“ zu Wort gemeldet – und es ist gar nicht erfreulich, was da zu lesen ist. Natürlich geht es um ein Thema, das uns grade alle (wenn auch räumlich beschränkt) umtreibt.
„Wir sind jetzt dort, wo ihr in wenigen Tagen sein werdet. Die Grafiken der Pandemie zeigen, dass wir in einem parallelen Tanz miteinander verbunden sind, in dem wir euch zeitlich einige Tage voraus sind, so wie Wuhan uns einige Wochen voraus war“, schreibt Melandri. Klingt wenig beruhigend, leider aber überzeugender als all das Geschwätz vieler Politiker, die versuchen, sich als Beherrscher der Lage zu inszenieren (aber nicht mal für ausreichenden Schutz des Klinikpersonals sorgen können), um „danach“ politisches Kapital daraus schlagen zu können, und da meine ich nicht nur die auf Bundesebene.
„Wir sehen, dass ihr euch genauso verhaltet, wie wir uns verhalten haben.“ Stimmt leider. Geht man bei diesem herrlichen Sonnenschein z.B. in den Zoopark (im Hofgarten wird’s ähnlich sein) muss man aufpassen, von Joggern nicht umgerannt, von Radlern nicht über den Haufen gefahren zu werden. Und auf der Wiese wird Ball gespielt, alle Bänke besetzt – eigentlich ist alles wie immer. Einer führte gar ein Karnickel an der Leine spazieren.
Auch auf den Geschäftsstraßen herrscht Gedrängel wie immer. Nur in den Supermärkten – vor allem, wenn das Marktpersonal darauf aufmerksam macht – scheint sich das Bewusstsein wieder einzustellen, dass wir uns in einer Ausnahmesituation befinden, deren Gefährlichkeit wir alle ehrlicherweise nicht einschätzen, inzwischen aber erahnen können. Auch wenn man beim Lesen der Kommentare in der Tagespresse den Eindruck hat, wir seien auf einmal ein Volk von hochspezialisierten Virologen geworden.
Natürlich weiß ich es auch nicht. Ich habe das alles anfangs für ein albernes Schnüpperchen gehalten: Nun macht mal halblang! Inzwischen sind weltweit zu viele Menschen gestorben, um das noch so hemdsärmelig sehen zu können. Natürlich wäre mein Wunsch, dass der ganze Spuk schnell vorbei ist und man wieder zur Normalität zurückkehren kann. Jetzt ein Frischgezapftes – nicht auszudenken! Wir berauschen uns an unseren derzeit geringen (aber doch stetig wachsenden) Fallzahlen und glauben, Italien und Spanien seien weit weg. Die Grenzen sind ja dicht. Und machen wir Deutschen nicht sowieso alles besser? Schön wär’s. Ich wünsche es uns. Aber es könnte sich auch alsd gewaltiger Irrtum herausstellen – und wenn wir darüber Sicherheit haben, ist’s zu spät.
Wir sollten auf jeden Fall vorsichtig sein. Wir wollen uns doch alle gesund bei der nächsten Lesung im Heine Haus wiedersehen. Gern wieder mit Francesca Melandri.
Der Text steht beim „Spiegel“ im gesperrten Bereich, aber Volker Weidermann hat die Autorin zum Thema interviewt»»
Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 07
Da hab ich Augen gemacht, als ich dieser Tage auf der Facebook-Seite von Müller & Böhm nachsehen wollte, ob meine Kolümnchen schon online ist: die Zeichnungen zu Augusto Monterrosos großartiger Erzählung (die ich in Wahrheit für einen Roman halte) „Der Dinosaurier“. Ich kann es mir vielleicht ersparen, aus diesem einzigartigen Werk zu zitieren – es steht komplett bei Müller & Böhm online (stöbern Sie da ein bisschen herum, es gibt es noch mehr zu entdecken»».
Diese wunderbare Geschichte hat mich mein ganzes Leseleben begleitet. Sie ist – in der DDR – wo ich studierte, zuerst in dem wunderschönen Reclam-Leipzig-Band „Der Frosch, der ein richtiger Frosch sein wollte“ erschienen. (Wir haben es hier auch mit sem seltenen Fall zu tun, dass der Buchtitel länger ist als einer der zentralen Texte.) Klar, dass da Jugenderinnerungen hochkommen. Schön war’s ja doch, auch wenn man irgendwie eingesperrt war, anders als jetzt, weil: dass es so etwas wie ein Entlassungsdatum geben könnte, daran war damals nicht zu denken.
Unter uns Studenten machte die Dino-Geschichte (ohne dass wir ahnten, dass diese Viechter mal mit „Jurassic Park“ einen weltweiten Boom auslösen würden) sofort die Runde, sie wurde sogar so etwas wie ein Tagesgruß. Man musste einander nur ins übernächtigte Gesicht schauen und „Dinosaurier“ murmeln – und schon war alles klar.
Denn ganz sicher war das Studentenleben in Leipzig damals nicht weniger alkoholgetränkt als an anderen Orten der Welt. Aber: Früh um 7 (in Worten: sieben) hatte man im (fensterlosen) Hörsaal zu sitzen, nachdem man seine körperliche Präsenz in einer Anwesenheitsliste urschriftlich festgehalten hatte (da gab es einige Vermeidungsstrategien, die allerdings bei zu exzessivem Einsatz nach hinten losgehen konnten). Die beiden unabänderlichen Konstanten – geselliges Beisammensein abends im Wirtshaus, ungeselliges Beieinander zu eigentlich nachtschlafener Zeit sorgten freilich für eine sehr eigenwillige Rezeption des Monterroso-Textes, der nun doch zitiert werden muss: „Als er erwachte, war der Dinosaurier immer noch da.“ Denn er war wirklich da. Jeden Morgen. Ich weiß nicht, wie viele Exemplare dieser doch ausgestorbenen Spezies mir im Laufe meines Studiums zu dieser unchristlichen Zeit vor Augen gestanden haben (auch nicht, ob sie munterer waren als ich – ich vermute mal: Mehr als seinerzeit auf Erden kreuchten und fleuchten.
Inwieweit morgendliche die Erscheinung mit der Strichzahl auf dem Bierdeckel am Abend zuvor im Verhältnis stand, habe ich qua angeborener Mathematikschwäche nie herausbekommen. Das Thema hat sich in der Zwischenzeit auch erledigt, geblieben aber ist mir der großartige Text des guatemaltekischen Autors, der mit seinen Geschichten („Ernst im Unernst“ sagt Garcia Márquez einmal dazu) in einer ganz eigenen Liga der Weltliteratur spielt. Gehört in jeden Bücherschrank. Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 06
In meinen Zeiten als BuchMarkt-Redakteur bin ich hin und wieder gefragt worden, ob ich der Rubrik „Lesetipps der Redaktion“ immer das gesamte Programm des Weidle-Verlags empfehle. Kann sein, kann sein, nicht. Ich habe es nie kontrolliert. Weidle macht nur Bücher, die er selbst gern lesen würde – und unsere Freundschaft hat genau damit im vergangenen Jahrtausend einmal begonnen, dass wir halt die gleichen Bücher favorisierten. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Nun hat Stefan Weidle, des öfteren mit seinen Autoren Gast im Heine Haus, im Frühjahr einen Coup gelandet, den man bitte in breitester Öffentlichkeit wahrnehmen möge. Der Verleger und frühere Vorsitzende der Kurt-Wolff-Stiftung (einer Interessen- und Geistesgemeinschaft unabhängiger Verlag mit inhaltlich hohem Anspruch – meine vielleicht etwas informelle, aber zutreffende Formulierung) hat ein Manuskript der Ehegattin Kurt Wolffs, Helen Wolff (1906-1994) ausgegraben und nun in typischer Weidlequalität (Typographie von Friedrich Forssman, Softcover, Fadenheftung – und oben(vorne)drauf ein – ’tschuldigung – geiles Cover von Kat Menschik) vorgelegt. Helen Wolff war nämlich nicht nur eine begnadete Verlegerin, die das Lebenswerk ihres Mannes nach dessen tragischem Tod 1963 fortsetzte (lesen Sie mal der Briefwechsel von Grass/Wolff, 2003 bei Steidl erschienen), sondern auch Autorin.
Der jetzt bei Weidle erstmals veröffentlichte Roman „Hintergrund für Liebe“ wurde 1932 geschrieben – und hat natürlich einen autobiographischen Hintergrund. Und er ist auch ein Zeitgemälde jener letzten ebenso unbeschwerten wie doch schon von den kommenden Ereignissen überschatteten Tage im Paradies Südfrankreichs kurz vor der Katastrophe 1933. Ein kleiner, rund 100 Seiten langer Roman, den Sie jetzt im Corona-Knast in einem Rutsch lesen werden.
Und nach 100 Seiten ist dann (zum Glück) noch nicht Schluss: Dann finden Sie den mindestens ebenso spannenden Essay von Helen Wolffs Großnichte Marion Detjen „Zum Hintergrund des Hintergrunds“ – über die ersten gemeinsamen Jahre des Ehepaares Wolff und ihr Wirken im Exil. Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 05
Wer hätte vor ein paar Tagen gedacht, dass Klopapier nun in aller Munde ist, weil es nicht mehr in aller Hände kommt. Die Hamster(er) sind unter uns. Sogar die gern oberlehrerhafte „Zeit“ lässt in einem Interview (17. März) Malte Schremmer, der u.a. Klopapier vertreibt, als Antwort auf die Frage, ob die Toilettenpapierbranche einer der Profiteure der Corona-Krise ist, etwas drastischer formulieren, als es sonst Usus im Blatt ist: „Aus meiner Sicht ist das ganz einfache Mathematik: Niemand wird häufiger scheißen gehen als sonst auch. Wenn jetzt also viele Leute Klopapier kaufen, wird es bald eine Phase geben, in der ganz wenige was brauchen, weil alle einen Vorrat zu Hause haben.“
Ob dieser Satz auch in ein Hamster-Hirn geht? Ich habe (als Ex-DDR-Bürger vertraut mit der Greif-zu-und leg-einen-Vorrat-an-Mentalität so mancher Zeitgenossen) Zweifel. Aber es kommt etwas hinzu: Vielleicht sollte man Herrn Altmaier, der ja immer alles super findet, und anderen Politikern mal beim Denken helfen. Denn es sind nicht nur die bösen Hamsterer an diesem Schuld. Wenn man dafür sorgt, dass qua Shutdown weniger Altpapier eingesammelt werden und in die Papiermühle gefahren werden kann, dann sollte einem eigentlich klar sein, dass bei dieser Rohstoffverknappung irgendwann auch diese Neuproduktion stehen bleibt. Eine Info, die dann sicher weitere Hamsterer auf den Plan rufen – und jetzt auch Hamsterverbote – auslösen wird. Das perfekte Programm, um Panik auszulösen. – Könnte man freilich auch anders lösen…
Aber wenn wir einmal bei einem der Top-Themen dieser Tage sind, lassen Sie mich auf ein Buch hinweisen, das schon 2015 im zuKlampen-Verlag erschienen ist: Nämlich Johann-Günther Königs „kleine Geschichte der menschlichen Notdurft“ mit dem Titel „Das große Geschäft“. Sozusagen eine EnzyKLOpädie (leider nicht mein Einfall, sondern ne Kapitelüberschrift im Buch). In der übrigens auch über Toilettenpapieralternativen zu lesen ist.
Das Buch ist eine ungewöhnliche Spurensuche und garantiert einige vergnügliche Lesestunden (bei der man nicht unbedingt auf dem Thron sitzen muss). Lassen Sie sich, wenn sie online gucken, von der einzigen, nicht nur leicht dümmlichen „Rezension“ bei Amazonien nicht abschrecken. Der irdische Buchhändler (derzeit gezwungen versteckt im Laden) weiß es auch in diesem Falle besser. Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 04
Heute (24.3.) auf den Tag genau vor einem Jahr ging die Leipziger Buchmesse 2019 zu Ende. Sie war für mich fast großartig, ich hatte eins meiner Lieblingsbücher einem Verlag schmackhaft gemacht (ohne zu wissen, dass es ein paar Wochen später den höchsten niederländischen Buchpreis gewinnen würde – ich komme in den nächsten Tagen an dieser Stelle darauf zurück), und ich war stolz auf die erste von mir herausgegebene „horen“-Ausgabe, die sich um das Thema Neuübersetzungen drehte. Ich hatte das gesamte Heft noch mit meinem Freund und „horen“-Chef Jürgen Krätzer durchsehen und redigieren können. Der wegen seiner erneuten Krebserkrankung nicht zur Messe kommen konnte. Das war wirklich der einzige Wermutstropfen in Leipzig. Dachte ich. Auf der Rückfahrt schreckte mich im Zug dann eine SMS auf: Jürgen ist gestorben. Mit gerade mal 60.
Ungefähr ein Jahr lang haben die „horen“ improvisieren müssen, nun haben kurz vor Leipzig 2020 die neuen Herausgeber Andreas Erb und Christof Hamann ihre erste Ausgabe vorgelegt: Ach, hätte Jürgen diese Nummer doch noch erleben können! Er hätte sich sehr darüber gefreut. – Aber nun ist aus bekannten Gründen diese Buchmesse ausgefallen, auf der sich diese neue Ausgabe (wie immer mit eigenem Stand neben dem Wallstein-Verlag, unter dessen Fittichen diese einst mal von Friedrich Schiller gegründete Zeitschrift erscheint) und die neuen Herausgeber hätten präsentieren können.
Weshalb ich hier auf diese Ausgabe unbedingt aufmerksam machen möchte. Nicht nur, weil einige Autoren, die regelmäßig als Gast im Heine Haus auftreten, mitgewirkt haben (Esther Kinsky, Barbara Köhler, Marion Poschmann, Yoko Tawada, Anja Utler – um den Damen den Vortritt, wenn auch in heute vorgeschriebenem Abstand, zu lassen, Marcel Beyer, Oswald Egger, Catalin Dorian Florescu, Michael Roes, Peter Wawerzinek z.B. – ich sehe grade, es wäre weniger Tipperei gewesen, hätt’ ich nur die aufgeführt, die noch NICHT da waren…), auch ist der großartigen Barbara Köhler – Erstausgaben-Sammler aufgemerkt! – ein Sonderteil gewidmet. Von der wunderbaren Bildstrecke von Anja Harms gar nicht zu reden.
Wäre ich nicht seit Jahren Abonnent; allein wegen dieser Ausgabe würde ich abonnieren. Aber wem das zuviel Bindung ist: Das Heft gibt es natürlich auch einzeln. Zum Beispiel hier bei Müller & Böhm.
Die „horen“ sind seit jeher der Dichtung verpflichtet. Der hat sich auch der ELIF-Verlag in Nettetal verschrieben. Und da Verleger Dincer Gücyeter nicht stillesitzen kann, hat er ein kleines Online-Lyrikprojekt in Coronazeiten ausgeheckt (an dem wiederum auch zahlreiche „horen“-Mitarbeiter mitwirken); gestern ist es gestartet, und nun soll aller drei Tage was Neues kommen. Abonnieren und nichts verpassen!
(Nachtrag zur 2. Kolumne: Gestern – 23.3. – erreichte mich das am 13.3. in Berlin losgeschickte Waterdrinker-Buch. Wenn es der Postbote es tatsächlich gelesen haben sollte, hätt’ er wenigstens ’ne Nachricht reinlegen können, ob’s ihm gefallen hat…) Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 03
Dabei klingt das Biest doch eigentlich ganz nett: Corona. So freundlich, strahlend (die Korona um die Sonne schreibt sich vorsorglich mit K…), fast ein bisschen königlich. Gut, dass mit dem Namen irgendwas faul ist, weiß jeder, der das gleichnamige Bier Corona Extra (auch liebevoll Coronita Cerveza) mal getrunken hat – nicht ganz so schlimm wie Warsteiner-Plürre, aber nun auch nicht das, was man unter Genuss versteht. Aber Genuss ist derzeit auch nicht das bestimmende Thema.
Ja, Namen sind halt trügerisch. Eigentlich ist die Corona ein Kranz (in der Antike gern ein Siegerkranz), und da wollen wir mal jetzt für uns alle hoffen, dass nomen nicht omen ist. Der wohlklingende Name ist so beliebt, dass Toyota (ist ein paar Tage her) mal ein Auto danach benannt hat, und gab es nicht auch in Deutschland (noch ein paar Tage früher) einen Fahrrad-, Motorrad- und Autohersteller dieses Namens? Okay, eine italienische Band des Namens mit ihrem akustischen Tomatensaucenbrei vergessen wir lieber gleich, und ob das Corona-Magazine für Science-Fiction und Fantasy derzeit so glücklich mit seinem Namen ist, lassen wir dahingestellt. – Aber: alles Corona-Namen, die etwas Freundliches signalisieren. Wie kommt man drauf, ein so bösartiges Virus danach zu benennen? Wissenschaftlerhumor? Dann ist’s gewiss nicht meiner.
Oder hat ein oller Lateinfreak an das bekannte „sub corona verdere“ gedacht, was ja nichts anderes heißt, als einen Kriegsgefangenen als Sklaven zu verkaufen. Das war in der Antike üblich – haben die sich damals schon Mühe gegeben, dem Strahlenamen einen Makel anzuhängen? Wie auch immer, ich finde, man sollte das Biest bei seinem wahren Namen nennen: CONVID-19, geschrieben genau in diesen den Leser anbrüllenden Großbuchstaben, dass man freiwillig das Weite sucht. – Lesen Sie gut zu Hause! Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 02
In die Stadt gehen in Zeiten von Corona? Ich habe es am Tag meiner abgesagten Lesung mit Pieter Waterdrinker im Heine Haus getan. Warum?
Das Buch Tschaikowskistraße 40 (Matthes & Seitz) von Pieter Waterdrinker (das ich übersetzt habe) sollte Anfang April erscheinen – da aber Anfang März in der Niederländischen Botschaft in Berlin und zur Leipziger Buchmesse Veranstaltungen mit ihm geplant waren, mussten die Bücher früher da sein. Waren sie auch. Manche Verlage kriegen so was hin. Matthes & Seitz natürlich auch. Aber Pieter, der als Korrespondent der größten Niederländischen Tageszeitung in Sankt Petersburg arbeitet, saß nach Absage der Buchmesse in Berlin fest. Und blieb da, weil er unsere Lesung in Düsseldorf nicht schmeißen wollte. Dann machte Russland die Grenzen für Deutschland dicht (Pieter hätte, wäre er von Berlin geflogen, 14 Tage in Quarantäne gemusst). Da sich Corona in diesen Tagen noch nach europäischen Landesgrenzen richtete, konnte er am Samstag vor der Lesung via Amsterdam dem Moskauer Virenknast entkommen – so ist er in letzter Minute nach Hause geschlüpft. Aber: Pieter hatte vom Verlag ein Exemplar (mein Buch!) im Gepäck – ich hatte es da – weil frisch erschienen – noch gar nicht gesehen.
Da der Verleger Andreas Rötzer ein netter Mensch ist, packte er mir flugs ein Exemplar ein und schickte es per Post. Was aber nicht ankam, auch am Lesungsmontag nicht, und deshalb rheinbahnte ich schnell zu Müller & Böhm, um mir vor der angedrohten Abdichtung des Landes noch ein Exemplar zu schnappen: Die noch gar nicht offiziell erschienenen Bücher waren extra für die Lesung geliefert worden. (Übrigens ist die Büchersendung vom Verlag bis heute nicht angekommen – ich vermute einen Postler, der, von Kurzarbeit bedroht, sich fix und billig mit Lesestoff versorgt hat. – Nein, das ist gelogen, wer meine E-Mail-Signatur kennt, weiß, dass ich seit zwei Jahren – relativ erfolglos übrigens – mit der Post und DHL im Clinch liege und inzwischen bei dem Laden wegen meines beharrlichen Wunsches auf ordnungsgemäße Zustellung so verschrien bin, dass ich automatisch nach dem ersten Beschwerdemail einen Satz „Entschuldigungsbriefmarken“ kriege. Zustellung wär’ mir lieber.)
Nun soll Pieters Buch wegen Corona offiziell noch später erscheinen. Sehr vernünftig, aber was bin ich froh, mir schnell doch ein Exemplar gesichert zu haben! Ich vermute, dass im Heine Haus noch ein paar Exemplare liegen, die auf Grund der ausgefallenen Lesung natürlich nicht verkauft werden konnten (die Veranstaltung holen wir natürlich nach – aber wann?). Da wären jetzt also in Heines Geburtshaus die deutschlandweit vorerst einzigen verfügbaren Exemplare dieses wunderbaren Buches… Ulrich Faure
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Lesen unter der Fuchtel von Corona 01
„Das hebe ich mir für die Rente auf“, pflegte mein Vater zu sagen, wenn ihm ein Buch in die Hände fiel, das er zwar lesen wollte, nur eben nicht sofort. Ich habe es nicht kontrolliert, aber ich vermute, er hat sich dran gehalten.
Ich habe (lebenslang) das Sprüchlein von ihm geklaut, dabei aber geflissentlich übersehen, dass ich inzwischen altersmäßig so weit fortgeschritten bin, dass ich langsam den Stapel mal sichten sollte, zu dem sich die Bücher unter dieser Ausrede bei mir auftürmt haben. Zumal dieses lektüreaufschiebende Alter seit kurzem als hochgefährdet gilt: Man ist schließlich mit 65 Kernzielgruppe dieses heimtückischen Virus’ mit dem netten harmlosen Namen Corona: ein Wort wie ein Sonnenstrahl. Ja, denkste! Nix also mehr mit aufheben, wer’s gern sarkastisch mag, würde sagen: „Halt dich mal lieber ran, dass du es noch schaffst, bis dir das Vieh Löcher in die gewesene Raucherlunge frisst!“
Also den aufgebrummten Hausarrest jetzt nutzen, das zu lesen, was man immer schon lesen wollte! Auf jeden Fall eine bessere Idee, als stundenlang aufs Smartphone zu starren und jedem Update in Sachen Corona-Krise hinterzuhecheln. Man kann natürlich auch Novitäten aus dem Frühjahr lesen – die nun, nach Messeabsage und flächendeckenden Buchhandlungsschließungen, die böse Chance haben, den Zustand des „Novi“ zu überspringen und gleich zum „Oldi“ zu werden: à la „hebe ich mir für die Rente auf.“
Für beides sind Selinde Böhm und Rudolf Müller, die mich gebeten haben, meine hausarrestliche Lektüre immer mal zu unterbrechen, um ihnen ein paar Zeilen aufs virtuelle Papier zu hauen, bestens gerüstet (und hinter verschlossenen Buchhandlungs-Türen auch tätig): Das, was man schon immer lesen wollte/sollte, gibt’s – wie man als Kunde weiß – ganz selbstverständlich, und das Beste aus den Frühjahrsprogrammen war natürlich längst bestellt, ehe wir alle das Wort Corona buchstabieren lernten. Schön, trotz weiträumigem Eingesperrtsein trotzdem so eine (Aus)wahl zu haben. Ulrich Faure
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